96 FRANKREICH | EURO 2016 ersteLänderspielzwischenFrankreichundseinerehemaligen Kolonie Algerien – im Vorfeld als Beitrag zur Stabilisierung und Verbesserung einer komplexen Beziehung beschworen – wegen Zuschauer-Ausschreitungen abgebrochen werden musste, kamen erste Zweifel an der Effizienz des Fußballs alsIntegrationsfördererauf.Tatsächlichwurdedeutlich,dass er sowohl als Projektionsfläche für Verbrüderungswünsche wie auch als Bühne für die Zerrissenheit der französischen Gesellschaft herhalten musste. Zudem gab es im folgenden Jahrzehnt eine ganze Reihe von Gelegenheiten, das öffentliche Benehmen der National- spieler zu rügen, die ihrer Vorbildfunktion mehr als einmal nicht gerecht wurden und mit Vorfällen wie dem grotesken „Streik“ bei der WM 2010 in Südafrika das Bild des harmoni- schen Miteinanders im Nationalteam nachhaltig beschädig- ten.Auchdie„Quoten-Affäre“imJahr2011,alsderdamalige Nationaltrainer Laurent Blanc rassistischer Äußerungen beschuldigtwurde–wasnichtzutraf,abereinengravierenden Mangel an Sensibilität für angemessenen Sprachgebrauch andenTagbrachte–,zeigteauf,dassderfranzösischeFußball vondenSchwierigkeitendesZusammenlebensderKulturen nicht verschont bleibt. Die WM 1998 als Präzedenzfall An der Strahlkraft des Sommermärchens von 1998 ändern diese Ereignisse und Entwicklungen aber nichts. Im Gegenteil: Der WM-Sommer hat sich als eine Art Präze- denzfall ins kollektive Gedächtnis der Nation gebrannt, als Beweisdafür,dassHarmoniemöglichistunddassmansich unter dem gemeinsamen Dach der nationalen Symbole zusammenfinden kann. Er macht auch deutlich, welche Rolle der Fußball mitt- lerweile in der Sozialisierung des Individuums durch eine ungeheuerintensiveemotionaleErfahrungvonGemeinschaft spielt. Wir mögen uns zwar dessen bewusst sein, dass die beim Fußball erlebte nationale Gemeinschaft in Zeiten fortschreitenderIndividualisierungundwachsendersozialer UngleichheitenauchetwasKünstlichesansichhat,dennoch nehmen wir das fast unwiderstehliche Identifikationsange- bot der Nationalmannschaft gerne an. Zumal der Fußball