FRANKREICH | EURO 2016 97 ebenaucheinenhochwillkommenenAnlasszueinerbefrei- enden„Auszeit“vomLebens-undArbeitsrhythmusunserer Epochebietet,derunsoftalsinsUnerträglichebeschleunigt erscheint.DerfranzösischeSchriftstellerJeanRouaudfasste den Sommer 1998 als ein „großartiges Innehalten in der Geschichte dieses Volkes“ zusammen, dessen Leichtigkeit nur im Kontext eines in letzter Konsequenz zweckfreien Spiels möglich ist. Die Franzosen wissen heute, dass der Fußball die Welt nicht verändert und keine Probleme löst. Aber er kann beispielhafte Momente schaffen, die in der Erinnerung abgespeichertwerdenundOrientierunggeben.„DerMensch lebt nicht vom Brot allein“, wie es Heinrich Böll in einer seinerGeschichtentreffendausgedrückthat:wirtschaftlicher Wohlstand ist nicht genug, wir brauchen auch emotionale Bezugspunkte, die uns grundlegender gesellschaftlicher Solidaritäten versichern. Die WM 98 ist ein solcher Bezugspunkt. Sie zeigte auf, wie groß in der französischen Gesellschaft das Bedürfnis nach harmonischer Zusammengehörigkeit im komplexen nationalen Kollektiv ist und wie wenig die Republik in „nor- malen Zeiten“ in der Lage ist, darauf zu antworten. Befriedigen kann auch der Fußball diese Bedürfnisse nur scheinbar und punktuell. Doch immerhin: Er hat Bilder insFamilienalbumderNationgeklebt,dienochJahre später ein gerührtes Lächeln auf die Mundwinkel zeichnen. Bei aller Skepsis: auch das zählt.